14 Februar 2018

Ein abgefahrener Roman über die 90er-Jahre

Es gibt immer wieder Bücher, die ich mir kaufe, die dann aber in einem Stapel versacken. So geschah es mit »Zeitgeist«, einem Roman des amerikanischen Schriftstellers Todd Wiggins. Das Buch erschien 1996 in den USA, wurde 1999 in deutscher Sprache veröffentlicht und von mir etwa im Jahr 2000 gekauft.

Seither nahm ich es immer wieder in die Hand, wollte es lesen und legte es wieder weg. Weil ich es aber cool fand, gab ich es nie in eine Büchersammlung, sondern behielt es. Bis ich es dieser Tage dann doch auspackte ...

Um es vorwegzunehmen: Sicher muss man »Zeitgeist« nicht gelesen haben. Der Roman spielt mit popkulturellen Themen, zeigt ein breit angelegtes Bild der Vereinigten Staaten und erzählt vor allem eine ziemlich abgefahrene Geschichte, die – streng genommen – eigentlich Science Fiction ist. Die Ereignisse, die in diesem Buch nämlich für Ende 1999 prognostiziert werden, haben so nie stattgefunden, spielen also in einem parallelen Universum mit unterschiedlicher Geschichte.

Die Handlung läuft auf zwei Ebenen ab: Die eine ist die einer ich-erzählenden Edelprostituierten, die eigentlich Schriftstellerin werden wollte – sie erzählt die andere Handlung. In dieser sind vier unterschiedliche Menschen auf dem Weg von New York nach Kalifornien: ein schwarzer Hacker, ein britischer Journalist, eine kampfbegeisterte Lesbe und ein durchgeknallter Pfarrer.

Auf ihrem Weg erleben sie allerlei schräge Dinge, stoßen auf fanatische Christen und werden am Ende von der Polizei gejagt. Dazwischen paaren sich abgefahrene Dialoge, viele Schießereien und der Beginn eines Aufstandes der Afroamerikaner. Und wem das nicht reicht, bekommt noch reichlich abgefahrene Szenen, die man sich in einem »verdrogten« Film gut vorstellen kann.

»Zeitgeist« ist ziemlich cool. Aber es leuchtet ein, dass aus diesem Roman kein Bestseller werden konnte: Streckenweise wirkt er ein wenig wirr, manchmal hätte man ihn kürzen sollen, vor allem bei einigen ausufernden Dialogen, und ob die ausführliche Schilderung einer Vergewaltigung wirklich sein musste, möchte ich bezweifeln. Aber wer sich auf die schrägen Gedankenbilder einlässt, die Todd Wiggins in seinem Roman erzeugt, kommt sicher auf seine Unterhaltung.

Das Problem dürfte sein, diesen Roman irgendwo zu bekommen. Seit 2000 ist eine lange Zeit vergangen, und er dürfte auch »aus zweiter Hand« nur schwer zu finden sein. Wer ihn in die Finger bekommt, sollte zugreifen und einen Blick riskieren.

Er wird mit einem außergewöhnlichen Roman belohnt, der die 90er-Jahre in einem anderen Blick erscheinen lässt. Ich bin mir übrigens noch nicht ganz sicher, ob ich ihn ins Science-Fiction-Regal oder zur Popliteratur stellen soll ...

1 Kommentar:

RoM hat gesagt…

Yum tuv, Klaus.
Die wortreiche Ausarbeitung einer Vergewaltigung ist vielleicht den literarischen Nachwehen eines Romans wie "American Psyho" geschuldet.

Wenn sich die Hauptfiguren eher mit exzentrischer Nabelschau befassen & die SF-Versatzstücke nicht mehr als Bühnencharakter aufweisen, wird "Zeitgeist" wohl unter Popliteratur zu finden sein.

bonté