30 April 2017

Nicht vernünftig eingebürgert

»Ich bin kein Deutsche«, sagte der Mann, der mir gegenüber saß. »Ich wohne seit dreißig Jahren hier, und ich habe meine Staatsangehörigkeit behalten.« Wie es sich herausstellte, kam er aus einem der Staaten der südlichen EU, einem Land, das sogar in der Eurozone war.

Recht verwundert schaute ich ihn an. »Warum eigentlich nicht? Sie reden besser deutsch als ich, und ...«

»Schon klar. Ich habe hier studiert, ich lebe und arbeite seit dreißig Jahren hier, ich zahle richtig viel Steuern.« Er trug einen guten Anzug mit Krawatte, er war Abteilungsleiter in einem deutschen Unternehmen, er fuhr ein dickes deutsches Auto, seine Frau war deutsche Beamtin, und ich wäre nicht einmal auf die Idee gekommen, dass er ein Ausländer sein könnte.

Auf mein Nachfragen erzählte er, dass er vor einem Jahr etwa versucht habe, deutscher Staatsbürger zu werden. Man habe ihn Fragebogen ausfüllen lassen und Fragen nach seiner Verfassungstreue gestellt. Man habe seine Frau nach seinen Vorlieben gefragt und alle möglichen blöden Fragen geäußert: zum politischen System, zu Landeshauptstädten und Parteien.

»Als ob die glaubten, dass ich illegal einwandern wollte.« Er schüttelte den Kopf und erzählte weitere Geschichten von seltsamen Fragen und noch seltsameren Mutmaßungen. »Vielleicht hätte ich die Nationalhymne singen sollen.«

»Und dann?«, fragte ich gespannt.

»Wenn mich Deutschland nicht will oder es mir so spät macht, lasse ich es halt«, sagte er lakonisch. Dann prosteten wir uns zu: jeder ein alkoholfreies Bier in der Hand, weil wir in der Nacht noch autofahren mussten.

Soviel zum Thema Leitkultur.

2 Kommentare:

Homer G, Adams hat gesagt…

Leider ist die Vita der allerwenigsten "Zugereisten" so wie bei deiner Bekanntschaft.
Die Type die Du da beschreibst, um die geht es auch gar nicht, sondern um die "anderen".

J. hat gesagt…

@Homer G. Adams
Das Problem ist aber, dass eben alle über einen Kamm geschoren werden. Wer seine Steuern hier seit Jahrzehnten abführt, der darf auch gerne einfach so einen deutschen Pass bekommen. Denn letztlich sind m.E. die Steuern wichtiger für den Staat, als der Fetzen Plastik.


M.E. macht es dieser Herr genau richtig. Um mal etwas ähnliches anzuführen, ist diese unbegründete Bürkratie, ein Grund warum ich nie in die USA reisen werde. Weil ich keinen Bock darauf habe im Flughafen und schon davor, wie ein Verbrecher behandelt zu werden. Das habe ich nicht nötig.